Theoretische Grundlagen und Methode

Die Integrative Gestalttherapie (IG) gehört zu den humanistischen Verfahren in der Psychotherapie und beruht auf der Theorie und Praxis von Frederick Salomon Perls und Lore Perls, die – wie viele europäische Psychoanalytiker – nach Amerika vertrieben wurden. Dort begründeten sie mit dem amerikanischen Sozialphilosophen und Schriftsteller Paul Goodman eine eigene Psychotherapierichtung – die Gestalttherapie.

Durch die Integration weiterer Konzepte und neuerer Forschungsergebnisse entwickelte sich die Integrative Gestalttherapie als Verfahren zur Persönlichkeitsentwicklung und Krankenbehandlung. Die Integrative Gestalttherapie betrachtet den Menschen als Einheit. Körperliche, emotionale und gedankliche Prozesse werden nicht als von einander getrennt, sondern als zusammengehörig verstanden. So wie der einzelne Mensch als Ganzheit gesehen wird, so kann er auch nicht unabhängig von seinem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld wie Familie, Freundeskreis, Arbeitsplatz usw. verstanden werden.

Therapie ist daher immer „Therapie im gesellschaftlichen Kontext“. Die IG arbeitet wahrnehmungsorientiert und erlebnisaktivierend. Die gegenwärtigen Empfindungen und Wahrnehmungen stehen im Vordergrund und werden aufgegriffen. Das Wahrnehmen, Verstehen und Akzeptieren der eigenen Gefühle und des eigenen Erlebens sind sowohl in Selbsterfahrungsprozessen als auch in der Psychotherapie der Fokus der therapeutischen Arbeit, von dem aus Veränderung angestrebt wird.

„Was immer existiert, ist hier und jetzt. Die Vergangenheit ist gegenwärtig als Erinnerung, Nostalgie, Bedauern, Ressentiment, Phantasie, Legende, Geschichte.
Die Zukunft existiert in der aktuellen Gegenwart als Verwegnahme, Planung, Probehandeln, Erwartung und Hoffnung oder Furcht und Verzweiflung.“
Lore Perls, „Leben an der Grenze“

Die IG fördert Eigenverantwortlichkeit und Beziehungsfähigkeit. Der Entwicklungs- und Heilungsprozess wird von den Patient:innen mit Unterstützung ihrer Therapeut:innen gestaltet. Im Kontakt zur/zum Therapeut:in können eigene (Beziehungs-)Muster wahrgenommen und erlebt und korrigierende Erfahrungen gemacht werden, die Veränderung ermöglichen.

Entsprechend der ganzheitlichen Sicht auf den Menschen werden auch kreative Techniken angeboten: Zeichnen, Malen, Arbeit mit Symbolen, Rollenspiel, Bewegung, …

Integrative Gestalttherapie wird als Einzel-, Gruppen und Paartherapie durchgeführt.

Durch Integrative Gestalttherapie kann ein weites Spektrum psychischer Einengungen und Störungen behandelt werden, z.B.
• Unterstützung in Krisen als Reaktion auf belastende Lebenssituationen
• Heilung oder Verbesserung bei Ängsten, Zwängen, Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen, Entfremdungsgefühlen, Essstörungen, Problemen im Umgang mit Aggression, traumatischen Erfahrungen, …
• Behandlung von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

In der IG als wachstumsorientierter Therapieform wird besonderer Wert darauf gelegt, bei Klient:innen und Patient:innen bisher wenig genützte Potenziale zur Entfaltung zu bringen.

Lose your mind and come to your senses.
Fritz Perls, „Gestalt, Wachstum, Integration. Aufsätze, Vorträge, Therapiesitzungen“

Wirkfaktoren

Zum Thema „Wirkt – und wie wirkt Integrative Gestalttherapie?“ wurde 1998 eine österreichweite Studie an ehemaligen Patient:innen durchgeführt – Evaluationsstudie zur Integrativen Gestalttherapie.

Dr. Brigitte Schigl (Wien, Krems), Klinische- und Gesundheitspsychologin, Integrative Gestalttherapeutin (ÖAGG), Supervisorin, in freier Praxis, Univ. Lektorin, (Universität Graz, Donauuniversität), Leitung und Durchführung von wissenschaftlichen Forschungsprojekten (Psychotherapie,-Evaluationsforschung).

Das Design der Studie skizziert eine summative Evaluationsarbeit, bei der gesamthaft die Wirkung und Wirksamkeit von Integrativer Gestalttherapie durch eine katamnestische Befragung von Klient:innen gemessen wurde. Eine solche Untersuchung liegt bislang für die Gestalttherapie nicht vor. Sie stellt unserer Recherche nach auch die von der Stichprobe her größte Studie dar, die je an Klient:innen der Gestalttherapie unter Praxis-Bedingungen durchgeführt wurde. Wir entwickelten dazu einen eigenen Fragebogen mit 66 Fragen. Deren Ergebnisse bieten eine Vielzahl von Überblicks- und Detailergebnissen zur Rezeption von Psychotherapie durch ihre Konsument:innen: Zum Zugang zur Psychotherapie, zum Setting, zu den Klient:innen- und Therapeut:innenvariablen, zum therapeutischen Prozeß und zur therapeutischen Beziehung sowie zur subjektiven Zufriedenheit und den von den Klient:innen wahrgenommen Wirkung/Wirkfaktoren der Therapie. Der Fragebogen wurde mithilfe von 75 Psychotherapeut:innen der Fachsektion für Integrative Gestalttherapie österreichweit an 2066 ehemalige Klient:innen versandt. Diese hatten in den letzten 5 Jahren für zumindest 5 Sitzungen (also auch Abbrüche oder weniger geglückte Therapien) Gestalttherapie in Anspruch genommen. Die Behandlung lag bei den Klient:innen zwischen einem halben und fünf Jahren zurück. Die Daten aus den 431 rücklaufenden Fragebögen wurden bei den geschlossenen Fragen deskriptiv statistisch nach Häufigkeiten und bei den offenen Fragen qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet sodann beide Datenarten soweit sinnvoll, mittels statistischer Instrumente verknüpft.

Die Studie soll die Ergebnisqualität der psychotherapeutischen Behandlung mit Integrativer Gestalttherapie aus Sicht der Klient:innen abbilden.
Diese Ergebnisqualität wird dabei auf verschiedenen Ebenen gemessen:

  • In Bezug auf die generelle Zufriedenheit der Klient:innen ihre Ziele und Erwartungen in der Gestalttherapie
  • In Bezug auf die von den Klient:innen frei formulierten Dimensionen der (Veränderung in ihrem Leben durch die) Psychotherapie und die globale Verbesserung in der Befindlichkeit
  • In Bezug auf die Differenz der (retrospektiven) Angaben der Klient:innen zum Status post im Vergleich zum Status prae bezüglich verschiedener Lebensbereiche
  • In Bezug auf Symptomreduktion, Rückfälle und Symptomverschiebungen
  • In Bezug auf Life-events und neuerliche Inanspruchnahme professioneller Hilfe seit Beendigung der Gestalttherapie

In unserer Studie wurde der Kontext der Klient:innen, die in Gestaltpsychotherapie kommen und behandelt werden, soweit als möglich miterhoben und mitberücksichtigt und die Veränderung durch Psychotherapie auf den verschiedenen Ebenen und Dimensionen ihrer Auswirkung im Leben eines/einer Klient:in dargestellt.

 

Von den demografischen Angaben her bietet sich ein für Psychotherapiekonsument:innen repräsentatives Bild: Es wurden insgesamt 431 Fragebögen zur Auswertung herangezogen. Das Alter der Klient:innen, die an der Befragung teilnahmen, reichte von 18 Jahren bis 76 Jahren. Die Alterskurve der Antwortenden erreicht ihre höchste Ausprägung in der Alterskategorie von 30 bis 40 Jahren (ca. 40% der Gesamtstichprobe). Die 20 – 30`Jährigen sowie die 41- 50 Jährigen machen je 20% der Gesamtstichprobe aus.

Die antwortenden Klient:innen sind zu zwei Drittel Frauen, haben zu 75 % Maturaniveau und sind zu 71% im Berufsleben stehend und wurden fast zur Gänze in Privatpraxen behandelt.

Die angegebenen Beschwerden liegen hauptsächlich im neurotischen Bereich mit depressiven und ängstlichen Verstimmungen, Paniksyndrom, sozialen und psychosomatischen Problemen sowie Substanzmißbrauch.

Es zeigt sich eine generell sehr hohe Zufriedenheit mit der Gestalttherapie, was im Sinne von geglückten/wirksamen Therapien interpretierbar ist: 87% der Klient:innen stufen sich als völlig bis recht zufrieden ein, nur 1,4% sind sehr, keine/r völlig unzufrieden!(Interessant ist, daß Klient:innen, die angeben ihre Gestalttherapie vor ihrem sozialen Umfeld geheimgehalten zu haben, signifikant weniger häufig zufrieden sind.) 63% der Klient:innen gaben an, ihre anfänglichen Ziele in der Gestalttherapie zur Gänze oder zum größten Teil erreicht zu haben, 25% teilweise, nur 2,5% der Antwortenden gar nicht. Die Bereiche der therapiebedingten Veränderungen (in offenen Fragen erhoben) zeigen die mehrdimensionale Wahrnehmung der Klient:innen: Auf die Frage nach Unterstützung durch das Umfeld zeigt sich, daß Veränderungen therapieimmanent sind und nicht durch unterschiedliche äußere Unterstützungen bei zufriedenen und unzufriedenen Klient:innen bewirkt. Eine Heilung ihrer Störungen geht mit Änderungen in der gesamten Persönlichkeit, Verbesserungen in den sozialen Beziehungen, einer Verbesserung ihres Lebens- und Vitalgefühls und Verhaltensänderungen einher. Im Vergleich von retrospektiv erhobenen Status prae und Status post bildet sich eine signifikante Verbesserung in allen acht erhobenen Lebensbereichen ab. Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen der mit ihrer Gestalttherapie zufriedenen und unzufriedenen Klient:innen konnten hier nicht festgestellt werden. Alle Signifikanzniveaus lagen oberhalb von 25%, Im Umgang mit Rückfällen, die bei etwas mehr als der Hälfte aller Klient:innen passieren können, zeigen sich die Befragten kreativ und geben an, in der Therapie Erarbeitetes einsetzen zu können. Die Angaben werden auch durch die Erhebung von life events unterstützt: mit ihrer Psychotherapie zufriedene Klient:innen können ihre Lebensumstände signifikant öfter beruflich oder in Bezug auf ihre Wohnsituation verbessern und haben häufiger Kinder bekommen als die mit der Therapie unzufriedenen Klient:innen. Bezüglich der therapeutisch hilfreichen Wirkfaktoren dominieren in den offenen Antworten Aspekte der Beziehung zu ihren Therapeut:innen bzw. deren Verhalten aus Sicht der Klient:innen. An zweiter Stelle der Nennungen wirksamer Elemente werden interssanterweise als spezifische Wirkfaktoren interpretierbare integrativ-gestalttherapeutische Methoden und Techniken genannt. Die Zufriedenheit mit Wirksamkeit der Gestaltherapie korreliert signifikant mit den Aspekten der therapeutischen Beziehung.

Sind Gestalttheoretische Psychotherapie und Integrative Gestalttherapie wirksam?
Ursula Grillmeier-Rehder, Helmut Jedliczka, Gerhard Stemberger, 2008

Literatur

  • Boeckh, A. (2006): Die Gestalttherapie. Kreuz Verlag, Stuttgart
  • Doubrawa E. (2002): Die Seele berühren. Erzählte Gestalttherapie, Peter Hammer , Wuppertal
  • Doubrawa ,E., Blankertz, S. (2000): Einladung zur Gestalttherapie. Eine Einführung mit Beispielen. Peter Hammer , Wuppertal
  • De Roeck, B-P. (1985): Gras unter meinen Füßen. Eine ungewöhnliche Einführung in die Gestalttherapie. Rowolt-Sachbuch, Hamburg
  • Rosenblatt ,D.(1996): Gestalttherapie für Einsteiger – eine Anleitung zur Selbstentdeckung. Peter Hammer ,Wuppertal
  • Doubrawa, E.Blankertz,S.(2003) : Gestalt Basics. Gestalttherapie für Einsteiger. Peter Hammer

Weitere nach Themen geordnete Spezialliteratur finden Sie unter Ausbildungsliteratur.

Videos zur Methode

Mehr Videos finden Sie auf dem Youtube-Kanal  der Fachsektion IG